Königswinter zeigt Flagge: International Day Against Homophobia, Biphobia, Interphobia and Transphobia (IDAHOBIT) am 17.05.2021

Gleichstellungsbeauftrage Frauke Fischer im Interview mit Diplom Psychologin & Psychologische Psychotherapeutin Melanie Braßel aus Königswinter

Der Internationale Tag gegen Homophobie, Bi, Inter- und Transphobie bzw. -feindlichkeit wird seit 2005 jährlich am 17.05. von Homosexuellen, später auch Trans-, Bi- und Intersexuellen, als Aktionstag begangen, um auf die Diskriminierung und Bestrafung von Menschen hinzuweisen, die in ihrer sexuellen Orientierung von der Heteronormalität abweichen. Auch heute bestehen Vorurteile und Gewalt gegenüber Homo- und Transsexuellen und hindern sie daran frei und sicher zu leben. Königswinter will ein Zeichen setzen und beteiligt sich in diesem Jahr erstmalig – im Sinne der Antidiskriminierung und Gleichstellung – an diesem Aktionstag. Dazu werden an den Rathäusern Regenbogenfahnen gehisst und so Flagge gezeigt: Gegen diese und jede Art der Diskriminierung.


 

Die Gleichstellungsbeauftrage der Stadt Königswinter, Frauke Fischer, und Diplom-Psychologin Melanie Braßel freuen sich darüber, dass zum Aktionstag erstmalig Regenbogenflaggen an den Rathäusern gehisst werden.

Die Gleichstellungsbeauftrage der Stadt Königswinter, Frauke Fischer, und Diplom-Psychologin Melanie Braßel freuen sich darüber, dass zum Aktionstag erstmalig Regenbogenflaggen an den Rathäusern gehisst werden.


Anlässlich des Aktionstages spricht die Gleichstellungsbeauftrage der Stadt Königswinter, Frauke Fischer, mit Melanie Braßel, Diplom Psychologin & Psychologische Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Königswinter

 

Frau Braßel, was verbinden Sie mit dem „International Day Against Homophobia, Biphobia, Interphobia and Transphobia (IDAHOBIT)“?

Als psychologische Psychotherapeutin liegt mir in meinem Beruf besonders am Herzen, für Hilfesuchende einen sicheren Ort zu ermöglichen, an dem Gefühle und Gedanken sichtbar und damit fühlbar sowie besprechbar werden können. Aktuell sind 18% meiner Patient*innen queer, definieren sich also abseits der Cisgender-Heteronormativität (Cis = Menschen, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde und in einer heterosexuellen Beziehung leben). Gesehen werden ist ein psychologisches Grundbedürfnis, insofern für die psychische Gesundheit genauso wichtig wie für den Körper die Nahrungsaufnahme. Ich verbinde folglich mit diesem Tag ein warmes Gefühl der Freude, da es insbesondere für Minderheiten in der Gesellschaft unfassbar wichtig ist, sichtbarer zu werden.

Was halten Sie davon in Königswinter am 17.05. die Regenbogenfahnen zu hissen?

Als ich im Vorgespräch davon erfuhr, konnte ich das kaum glauben. Ich freue mich, dass die Stadt Königswinter, in der ich selbst lange zur Schule gegangen bin, sich endlich offener und bunter zeigt. Sie zeigt somit den dort lebenden Menschen, wie wichtig es ist, auch noch im Jahr 2021, Mauern ab- und Toleranz und Offenheit aufzubauen. Es ist ein tolles Signal des Willkommens und der Akzeptanz für viele queere Menschen in Königswinter, die teilweise immer noch große Angst vor dem „Anderssein“ haben.

Gibt es in ihrer Praxis Menschen, die zu ihnen kommen, weil sie Homophobie erfahren haben?

Ich antworte zunächst mit einer provokanten Gegenfrage. Kennen Sie Menschen, also auch nicht queere Menschen, die noch nie Homophobie erfahren haben? Ich erinnere mich bspw. an Aussagen von Jungs in der Schule, die anderen Jungs Sprüche drückten, wenn diese sich emotionaler zeigten, wie etwa: „Du bist ja schwul“. Oder „Vor dem darfst du beim Duschen nicht die Seife aufheben -besser mit dem Rücken an der Wand entlang“. Frauen mit kurzen Haaren gelten auch leider heute teilweise immer noch als „Kampflesbe“. Also ja, natürlich haben alle queeren Menschen, die mit mir arbeiten, leider auch Homophobie erfahren müssen. Und leider führte diese Diskriminierung in Form von verbaler und körperlicher Gewalt u.a. auch zur Entstehung psychischen Leids.

Was hindert Menschen an ihrem coming-out?

Darüber könnte man vermutlich Bücher schreiben. Ein wichtiger Aspekt ist die zu erwartende, gerade thematisierte, Homophobie. Neben den homophoben verbalen Äußerungen gibt es auch homophobe Ausgrenzungen, Familienmitglieder, Freunde, die einen Menschen nach dem Outing fallen lassen oder homophob motivierte Gewalttaten. Menschen sind soziale Wesen, das heißt die Angst von einer Gruppe ausgeschlossen zu werden, entspricht aus evolutionspsychologischer Sicht einer Todesangst. Wurde man früher aus dem Rudel ausgestoßen, überlebte man dies nur selten. Ein weiterer Hinderungsgrund ist etwas komplexer: Durch die Homophobie in der Gesellschaft entsteht durch einen psychischen Prozess, den man Internalisierung (Verinnerlichen) nennt, auch eine internalisierte, also verinnerlichte Homophobie im Laufe der seelischen Entwicklung eines Menschen. Viele queere Menschen müssen sich, bevor sie sich vor Dritten outen, erst einmal vor sich selbst outen – man nennt diesen Prozess das innere Coming-out. Wenn beispielsweise „schwul“ oder „lesbisch sein“ einem Schimpfwort, wie „doof“ oder „blöd“ in der Gesellschaft gleichgestellt ist, braucht es viel Zeit, hilfreiche Menschen und vor allem Mut sich diesem Prozess zu stellen, um sich selbst liebevoll als beispielsweise schwul, lesbisch oder trans annehmen zu können.

Was sind Ihrer Meinung nach Gründe dafür, dass Menschen andere Gruppen abwerten?

Leider gibt es dieses Phänomen wahrscheinlich schon seit Anbeginn der Menschheit und hängt stark mit der eigenen Reife und Persönlichkeitsentwicklung zusammen. Aus sozialpsychologischer Sicht dient die Abwertung einer anderen Gruppe/ eines anderen Menschen zur Aufwertung des eigenen Selbstwertgefühls. Wenn ich also endlich das neuere Auto als mein*e Nachbar*in fahre, führt das bei einigen Menschen dazu, sich selbst wertiger zu erleben. Auch werten Menschen andere ab, wenn sie sich durch diese bedroht fühlen oder sich mit ihnen in Konkurrenz erleben. Es gibt auch Menschen, die ihr eigenes Queer-sein nicht akzeptieren können und folglich queere Menschen anfeinden, um diesen inneren Konflikt in sich zu „lösen“. Der Konservatismus spielt natürlich u.a. in dörflicheren Regionen auch eine Rolle: Alles was neu oder anders ist, ist erst mal befremdlich, beängstigend, deswegen ist es „einfacher“ und weniger belastend, wenn alles so bleibt wie es ist. Anderssein wird dann aus Eigenschutz abgewertet.

Was kann/sollte aus Ihrer Sicht gegen Homophobie getan werden?

Die Nutzung der Sprache spielt eine große Rolle. Ich denke jede*r kann nur gewinnen, wenn sich Menschen liebevoll, respektvoll und achtsam anderen Menschen nähern. Deswegen würde ich den Fokus weniger darauf legen was „gegen Homophobie“ getan werden sollte, sondern eher darauf, was für Offenheit und ein Klima der Toleranz getan werden kann. An der Stelle möchte ich auch den Rassismus nicht unerwähnt lassen, da Homophobie nur eine von vielen Diskriminierungsformen darstellt. Es gibt Menschen, die sich mit beiden Formen der Diskriminierung konfrontiert sehen, die z.B. queer und BIPoc (Black, Indigenous People of Color) sind.

Was braucht es aus Ihrer Sicht, um in Königswinter Flagge gegen Diskriminierung zu zeigen und ein Klima der Toleranz, Offenheit zu schaffen?

Zunächst einmal ist es richtig klasse, dass es in Königswinter überhaupt die Offenheit gibt, ein solches Interview zu führen, den 17.05. zu würdigen und die Regenbogenflagge zu hissen. Das gab es meines Wissens bislang nicht. Arbeitsstellen, wie z.B. Kommunalverwaltungen, Schulen oder Familien können an dieser Stelle gute Vorbilder sein. Einige Schulen klären bereits LGBTIQ* (Lesbisch, Gay, Bisexuell, Transgender, Intergeschlechtlich, Queer) bewusst auf- viele leider noch nicht. Manchmal besteht die Angst, dass man Kinder auf „komische Ideen“ bringen könnte, dass sie sich plötzlich etwas abgucken, was nicht normgerecht ist -Frühsexualisierung ist hier das Stichwort. Queer zu sein ist keine Entscheidung wie etwa „Heute Abend habe ich Lust auf Pizza oder morgen auf Sauerkraut mit Kassler“. Ein Mensch ist lesbisch oder eben nicht. Oder wurden Sie schon einmal gebeten, ob Sie Ihre Augenfarbe oder Heterosexualität verstecken könnten, weil sich sonst andere mit der Farbe/sexuellen Orientierung „anstecken“ könnten oder jemand sich diese von Ihnen abgucken könnte? Ergibt wenig Sinn, oder?

Diskriminierung und Minderheitenstress machen krank! Eine Studie aus Bielefeld (2021), die der LSVD zitiert, zeigt deutlich, dass sich Menschen aus der LGBTIQ* Community, verglichen mit der Gesamtbevölkerung, über den Zeitraum von zwei Wochen an mehr als der Hälfte der Tage durch depressive Symptome wie Niedergeschlagenheit, Nervosität und Interessenverlust im Alltag beeinträchtigt gefühlt haben. Leider fehlen oft passende Ansprechpartner*innen unabhängig vom Alter des Coming-Outs. Es braucht ein breites Hilfs-, Beratungs- und Freizeitangebot für queere Menschen. Bei meiner Recherche habe ich dazu einiges in Nachbarstädten wie Bonn (bspw. das GAP – Gemeinsam Anders Punkt –, über Instagramm lateoutBonn für spät geoutete Menschen), Troisdorf, Siegburg und Köln gefunden. Es wäre erfreulich, solche Angebote bald auch in Königswinter zu finden. Ich freue mich jedenfalls auf eine fruchtbare Zusammenarbeit.

Die Gleichstellungsbeauftragte verweist auf die Ergebnisse der neuen EU-Studie der EU-Grundrechteagentur FRA zur Situation von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen und zeigt aus Sicht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes klaren Handlungsbedarf auf: „ Auch in Deutschland verbergen immer noch viele Menschen ihre sexuelle oder geschlechtliche Identität aus Angst vor Benachteiligung“ (kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Bernhard Franke). „Von Erfahrungen mit Diskriminierungen, Belästigungen und Übergriffen wird von Befragten aus Deutschland durchgehend in etwa so häufig berichtet wie im EU-Durchschnitt – zu häufig.”  Der Internationale Tag gegen Homo- und Transphobie am 17. Mai müsse auch in der Corona-Krise zum Anlass genommen werden, deutlich auf Missstände hingewiesen zu werden. „Wenn fast die Hälfte der Befragten angeben, sich aus Angst nicht Hand in Hand in der Öffentlichkeit zeigen zu wollen, und mehr als 20 Prozent ihre Identität am Arbeitsplatz geheim halten, dann muss uns das große Sorgen bereiten”.

 
 

Kontakte und Anlaufstellen:

Auf dem Integrationsportal des Rhein-Sieg-Kreises finden Sie einige Akteur*innen aus dem Bereich LGBT*IQ im Rhein-Sieg-Kreis:
https://www.rhein-sieg-kreis.de/micosites/integrationsportal/ansprechpersonen/begegnung_und_schutz.php.

Zudem gibt es z.B. das Projekt SCHLAU Rhein-Sieg
https://www.rhein-sieg-kreis.de/micosites/integrationsportal/ansprechpersonen/praevention-schulen.php.
Das Projekt bietet Workshops zum Thema sexuelle und geschlechtliche Identität in den Schulen an.