875 Jahre Juden in Königswinter: Stolpersteine in Oberdollendorf verlegt
Zur Erinnerung an die jüdische Familie Keller und den politisch Verfolgten Ludwig Klaes
„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“ – Talmud
Durch „Stolpersteine“, also Gedenktafeln aus Messing, die in den Boden eingelassen werden, wird mittlerweile europaweit an die Opfer der NS-Zeit erinnert. Auch in Königswinter gibt es Stolpersteine, die an unsere jüdischen Mitmenschen erinnern, die von den Nazis verfolgt, deportiert oder ermordet wurden.
Zum Festjahr 1700 Jahre Juden in Deutschland und 875 Jahre Juden in Königswinter wurden auf Anregung des Heimatverein Oberdollendorf und Römlinghoven e.V. und des Kleinen Jüdischen Museums in Oberdollendorf nun weitere Stolpersteine verlegt: Für Familienmitglieder der Jüdischen Familie Keller sowie erstmals für den politisch Verfolgten Ludwig Klaes.
Biographie der Familie Keller:
Isaak Keller und seine Frau Wilhelmine wohnten zusammen mit den drei Töchtern Erna, Hilde und Edith in der Bachstraße 97 in Oberdollendorf. Nach dem Tod seiner Frau heiratete Isaak Keller ein zweites Mal. Auch seine zweite Frau verstarb früh, so dass er im Jahr 1936 erneut heiratet: Rosa Keller, geb. Elsoffer.
Die Familie litt unter dem Regime der Nationalsozialisten und war permanenten Schikanen und Beschränkungen ausgesetzt. 1939 muss die Familie ihr Haus verlassen und ins „Judenhaus“ an der Falltorstraße umziehen. Isaak Keller starb 1940. Seine Frau Rosa versank in Depression, wurde in eine „Heilanstalt“ eingewiesen und 1942 nach Sobibor in Polen deportiert, wo sie in der Gaskammer starb.
Die mittlerweile erwachsenen Töchter Hilde und Edith konnten ins Ausland fliehen, Tochter Erna wurde von ihrem Dienstherrn schwanger. Die junge Jüdin floh ins Heim für „sittlich gefährdete weibliche Personen“ nach Bonn und bekam dort ihre uneheliche Tochter Ruth. Nach kurzer Zeit musste sie mit ihrer Tochter Bonn verlassen und kam in einem Kölner Kinderheim unter. Erna wurde im Herbst 1941 in ein Sammellager nach Köln gebracht und im Januar 1943 nach Auschwitz deportiert. Man trennte also Mutter und Tochter und Ruth verblieb im Kinderheim. Ruth wurde ein Jahr später nach Weißrussland deportiert und im Alter von 7 Jahren ermordet.
Für folgende Familienmitglieder der Familie Keller aus Oberdollendorf wurden am letzten Wohnort in der Bachstraße Stolpersteine verlegt:
- Rosa Keller, geb. Elsoffer, Stiefmutter von Erna, Hilde und Edith Keller,
1894-1942 (ermordet im Vernichtungslager Sobibor/Polen) - Erna Keller,
1911-1943 (ermordet in Auschwitz/Polen) - Hilde Keller,
1913-1984 (nach Belgien geflohen) - Edith Keller,
1916- ? (in die USA geflohen) - Ruth Keller, Tochter von Erna Keller,
1935-1942 (im Alter von 7 Jahren ermordet in der Tötungsstätte bei Minsk/Weißrussland)
Die Stolpersteine für die Familie Keller befinden sich in der Bachstraße 135.
Biographie von Ludwig Klaes:
Ludwig Klaes, Jahrgang 1900, wohnte mit seiner Frau Anna und den drei Kindern, Else, Ludwig und Rudi in Oberdollendorf. In den 1930er Jahren wurde er aus politischen Gründen zu einer längeren Gefängnisstrafe verurteilt worden. Der Vorwurf: Er soll Anhänger der Linksintellektuellen Markov-Gruppe gewesen sein, die mit Infoschriften und einer Zeitschrift der staatlichen Propaganda entgegenzuwirken versuchte. Der Staatsapparat löste die Redaktion auf und verhaftete die Anhänger der Gruppe, darunter Ludwig Klaes. 1933 wurde er aufgrund polizeilicher Anordnung ohne richterliche Prüfung inhaftiert und im November 1933 wegen Verteilen von Flugblättern zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Danach zu 5 Jahren Zuchthaus im Gefängnis in Siegburg verurteilt.
Nach seiner Entlassung im Jahr 1940, erfolgte dann 1943 die Einberufung zur Wehrmacht in ein Strafbataillon der berüchtigten Strafdivision 999. Klaes´ Einheit wurde zunächst in Griechenland eingesetzt, dann in Russland. Sein letzter Brief aus Odessa stammt vom 27. Februar 1944.
In Gefangenschaft verfasste Klaes gefühlvolle und schmerzerfüllte Gedichte für seine Familie, die das Unrecht durch die Willkür der damaligen Justiz zum Ausdruck brachten. Die Gedichte, geschrieben auf Papierfetzen, hat Klaes seiner Frau bei den seltenen Besuchen zugesteckt. Seine Tochter Else hat diese gesammelt und als Vermächtnis bewahrt. Sie sind unter dem Namen „Lyrik aus der Gefängniszelle“ erhalten.
Der Stolperstein für Ludwig Klaes befindet sich an der Rennenbergstraße 42.
Die ausführlichen Biographien können als PDF am Ende des Artikels heruntergeladen werden. Sie wurden mit freundlicher Unterstützung des Heimatverein Oberdollendorf und Römlinghoven e.V. und vom Kleinen Jüdischen Museum zur Verfügung gestellt.
Rede von Bürgermeister Lutz Wagner zur Verlegung der Stolpersteine
„Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!
Heute gedenken wir mit der Verlegung neuer Stolpersteine an die Menschen aus unserer Mitte, die von den Nazis verschleppt und umgebracht wurden: Familienmitglieder der jüdischen Familie Keller: Rosa Keller geb. Elsoffer, Erna keller, Ruth Keller, Hilde Keller, Edith Keller
Zudem werden wir erstmalig in Königswinter ein Stein für einen politisch Verfolgten verlegen: Ludwig Klaes.
Unsere Gesellschaft muss das Bewusstsein für diese Verantwortung gegenüber der Geschichte an künftige Generationen weitertragen. Das kann nur geschehen über eine lebendige Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit.
Am 27. Januar 2000 sagte der Holocaustüberlebende und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel vor dem Deutschen Bundestag:
„Wer sich dazu herbeilässt, die Erinnerung an die Opfer zu verdunkeln, der tötet sie ein zweites Mal.“
In der Erinnerung gilt es auch, sich der Geschichte jüdischen Lebens im Siebengebirge präsent zu halten.
Jüdisches Leben im Siebengebirge fand erstmals im September 1146 - also vor 875 Jahren - in einem Bericht von Ephraim von Bonn über die Verfolgung der rheinischen Juden und ihrer Flucht auf die Wolkenburg, die ihnen der Kölner Erzbischof zur eigenen Verteidigung zur Verfügung gestellt hatte, Erwähnung.
In der Folge sind uns Berichte aus dem 13. Jahrhundert von Caesarius von Heisterbach über die jüdischen Bürger in der Region bekannt.
Im 16. Jahrhundert wird der Friedhof, auf dem wir uns jetzt befinden, angelegt – damals noch vor den Toren der Stadt.
Im 18. Jahrhundert folgt die Einrichtung eines Bethauses an der Königswinterer Hauptstraße, an dessen Existenz in wenigen Wochen durch eine Informationstafel an Ort und Stelle hingewiesen werden soll.
Das alles sind Spuren jüdischen Lebens, dass es hier und heute so nicht mehr gibt. Mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten beginnen Judenboykotte, Verbote und Verhaftungen; Zerstörung der Synagogen; Auslöschung der jüdischen Gemeinde durch Verfolgung und Ermordung. Dem heute unter dem Begriff Holocaust bekannte nationalsozialistische Völkermord fielen zwischen 5,6 und 6,3 Millionen europäischen Juden zum Opfer. Deutsche und ihre Helfer führten ihn von 1941 bis 1945 systematisch, ab 1942 auch mit industriellen Methoden durch, mit dem Ziel, alle Juden im deutschen Machtbereich zu ermorden – etwas, was das Vorstellungsvermögen vieler Menschen noch bis heute übersteigt.
Die Geschichte ist noch nicht vorbei. Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) hat vergangenes Jahr bundesweit 1909 antisemitische Vorfälle erfasst. Das sind etwa 450 mehr als im Jahr zuvor. Täglich werden antisemitische Texte, Bilder, Audios und Videos im Internet verbreitet. Oft sind die Äußerungen von unbeschreiblicher Grausamkeit: Drohungen, Beschimpfungen, Verwünschungen.
Auch auf der Straße fühlen sich viele Jüdinnen und Juden in Deutschland nicht mehr sicher.
Angriffe gegen Menschen, gegen Synagogen und schließlich auch Tote bei dem Angriff auf die Synagoge in Halle. Es hieß doch immer: „Wehret den Anfängen!“ Doch: Es hat längst angefangen
Und genau deshalb ist die Bereitschaft zur Erinnerung und die daraus resultierende Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung eine Bürgerpflicht. Nehmen wir diese Pflicht ernst und tragen sie in die Zukunft.
In diesem Sinne darf ich mich bei Ihnen allen für Ihre Teilnahme an unserer heutigen Aktion recht herzlich bedanken. Bleiben wir wachsam.”