Liebe Gäste, sehr geehrte Damen und Herren,
im Namen der Stadt Königswinter heiße ich Sie herzlich willkommen. Es ist gut, dass Sie hier sind. Ihr Kommen zeigt, dass die Erinnerung an diese dunkle Zeit für uns alle wichtig ist, dass wir das Leid der Opfer und die Grausamkeit der Täter niemals vergessen dürfen.
Der 9. November 1938 markiert einen der dunkelsten Kapitel in der deutschen Geschichte und zeigt eindrücklich, wie Hass und Intoleranz den Weg für eine beispiellose Gewaltwelle bereiteten.
In jener Nacht schlugen Männer in Uniformen und in Zivil brutale Schneisen durch jüdische Gemeinden in ganz Deutschland: Synagogen wurden niedergebrannt, Geschäfte und Wohnungen zerstört, Familien auseinandergerissen und Menschen verfolgt und misshandelt. Über 100 jüdische Bürgerinnen und Bürger wurden in der Nacht ermordet, Tausende wurden in Konzentrationslager verschleppt, wo sie weiterem Leid und dem Tod entgegenblickten. Besonders erschütternd ist, dass viele dieser Menschen Kinder und Jugendliche waren –junge Menschen, deren Leben und Chancen durch den Hass anderer zerstört wurden.
Der 9. November 1938 war aber nicht nur ein isolierter Gewaltausbruch, sondern der Höhepunkt einer langen Reihe von Demütigungen und Diskriminierungen, die seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 systematisch vorangetrieben wurden.
Bereits kurz nach der Machtergreifung begann das Nazi-Regime damit, jüdische Menschen aus dem öffentlichen Leben zu drängen und ihrer Rechte zu berauben. Zunächst wurden jüdische Geschäfte boykottiert und jüdische Beamte entlassen, später folgten Berufsverbote für jüdische Ärzte, Lehrer und Künstler. Schritt für Schritt wurden jüdische Deutsche zu Menschen zweiter und dritter Klasse degradiert, denen man das Recht auf ein Leben in Würde absprach.
In unserer heutigen Veranstaltung wollen wir besonders die Schicksale jüdischer Kinder und Jugendlicher in den Vordergrund stellen, die von den Nationalsozialisten entrechtet, verfolgt und ausgegrenzt wurden. Diese Kinder mussten miterleben, wie ihre Familien auseinandergerissen wurden, wie ihre Freunde und Nachbarn sich plötzlich gegen sie wandten, und wie das Leben, das sie kannten, Stück für Stück in Scherben fiel. Durch die Schilderungen konkreter Schicksale machen wir heute das Unfassbare ein Stück weit greifbar. Diese Geschichten zeigen uns nicht nur, was damals geschehen ist, sondern mahnen uns auch, für eine Gesellschaft einzutreten, die allen Menschen – unabhängig von Herkunft und Religion – Schutz und Sicherheit bietet.
Auch hier in Königswinter gab es Menschen, die der Folge der Verfolgung wurden. Sie waren unsere Nachbarn, unsere Freunde, und sie gehörten fest zum Leben und zur Geschichte unserer Stadt. Doch nur wenige von ihnen kehrten nach dem Ende des Krieges in ihre Heimat zurück. Die meisten wurden ermordet oder vertrieben, und ihr Verlust reißt bis heute eine Lücke in unsere Gemeinschaft. Diese Menschen haben Gesichter und Namen, sie hatten Träume und Hoffnungen – und indem wir uns heute an sie erinnern, geben wir ihnen ein Stück Würde zurück.
Heute Nachmittag um 16 Uhr werden wir am Gedenkstein für die ehemalige Synagoge an der Heisterbacher Straße 116 in Oberdollendorf mit einer Kranzniederlegung den Opfern gedenken. Dazu darf ich Sie auch von dieser Stelle nochmal herzlich einladen.
Während wir heute hier in Königswinter zusammenkommen, um der Menschen zu gedenken, werden wir auch schmerzlich an die Gegenwart erinnert, die für viele jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger erneut von Bedrohung und Unsicherheit geprägt ist. Seit dem schrecklichen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober des letzten Jahres erleben wir eine Welle antisemitischer Straftaten in Deutschland, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben.
Vorfälle, bei denen jüdische Menschen hier in Deutschland beleidigt, bedroht und angegriffen werden. Sie sehen sich einer Situation gegenüber, die für viele kaum zu fassen ist: ein Gefühl von Angst und Unsicherheit in einem Land, das ihnen einst Schutz und Heimat versprochen hat.
Diese erschütternden Ereignisse und die spürbare Zunahme von Antisemitismus machen uns klar, wie wachsam wir als Gesellschaft sein müssen. Viele von uns dachten vielleicht, dass Antisemitismus in Deutschland nur ein Problem der Vergangenheit sei. Doch die Realität zeigt, dass dieser Hass nach wie vor präsent ist – in Worten und Taten, im Internet, auf der Straße, und in unseren alltäglichen Begegnungen. Wir alle tragen die Verantwortung, dass sich solche Tendenzen nicht weiter ausbreiten und dass Menschen jüdischen Glaubens sicher in Deutschland leben können. „Nie wieder“ ist mehr als eine Floskel; es ist ein Versprechen, das wir stets erneuern müssen, so oft es nötig ist.
Gedenken bedeutet nicht nur, zurückzuschauen, sondern auch, den Blick auf die Gegenwart zu richten. Die Erinnerung an die Reichspogromnacht und an den Holocaust verpflichtet uns, überall dort, wo Menschenverachtung und Diskriminierung auftreten, entschieden entgegenzutreten. Das bedeutet auch, dass wir uns gegen die zunehmenden antisemitischen Anfeindungen und Vorurteile stellen, die jüdische Menschen heute erneut ertragen müssen. In unserer Gesellschaft darf niemand aufgrund seiner Religion, Herkunft oder Überzeugungen in Angst leben müssen.
Dieser Tag erinnert uns daran, dass die Lehren aus unserer Geschichte eine aktive Haltung verlangen. Es reicht nicht, nur einmal im Jahr an die Opfer des Holocaust zu denken – wir müssen das Andenken an sie im Alltag bewahren und die Werte von Toleranz, Respekt und Gleichberechtigung leben. Lassen Sie uns jeden Tag aufs Neue daran arbeiten, dass in unserer Stadt und in unserem Land ein friedliches Miteinander möglich ist und dass alle Menschen die Sicherheit und das Vertrauen spüren, die eine Demokratie verspricht.
„Schalom“ bedeutet mehr als Frieden. Es bedeutet Respekt und Mitgefühl im Umgang miteinander – und es bedeutet, dass wir mit offenen Augen und offenem Herzen auf die Menschen um uns herum zuzugehen. Diese Werte können uns helfen, aus unserer Geschichte zu lernen und eine Gesellschaft zu gestalten, in der Hass und Vorurteile keinen Platz haben.
Ich danke Ihnen dafür, dass Sie heute hier sind und dass Sie mit uns gemeinsam die Erinnerung wachhalten.